Steigende Anzahl Kinder mit ASS an der Heilpädagogischen Schule Zetzwil
Die Anzahl Kinder mit einer Störung im Autismus-Spektrum an den Schulen der Stiftung Schürmatt steigt. Aktuell ist ungefähr jedes zweite Kind davon betroffen. Deshalb wurden die Lehrpersonen und pädagogischen Mitarbeitenden nach der Sommerpause zu einem Fortbildungskurs zum Thema «Über Autismus hinaus» eingeladen, mit dem Ziel, sie über aktuelle Entwicklungen zu informieren und ihnen Massnahmen zur bestmöglichen Unterstützung der Betroffenen aufzuzeigen.»
Judith Ormazabal, eine erfahrene sozialtherapeutische Interventionspädagogin und klinische Psychopädagogin, fesselte die Anwesenden mit ihren praxisnahen Beiträgen und wertvollen Fachkenntnissen. Dabei schöpfte die Referentin aus ihrem grossen Erfahrungsrepertoire, darunter aus ihrer Position als Fachexpertin für Autismus und Sozialpädagogik bei Menschen mit Entwicklungsstörungen am Zentrum für Entwicklung und Neuropsychiatrie der Psychiatrischen Dienste Aargau.
Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) leiden an einer Entwicklungsstörung, die durch Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, der Kommunikation und durch stereotype Verhaltensweisen gekennzeichnet ist. Sie haben oft ein reduziertes Interesse an sozialen Kontakten und ein eingeschränktes Verständnis für soziale Situationen. Die Symptome können von leicht bis schwer variieren und sind lebens-lang vorhanden.
Menschen mit ASS haben oft Schwierigkeiten mit Planung, Arbeitsgedächtnis und Impulskontrolle. Dies kann den Alltag erschweren, z. B. bei der Organisation von Aufgaben oder dem Wechsel zwischen Aktivitäten.
Unterstützend wirken eine klare und vorhersehbare Umgebung, visuelle Hilfsmittel wie Pläne, Checklisten und Zeitpläne, in überschaubare Schritte unterteilte Aufgaben, Routinen und Rituale im Alltag, Hilfsmittel wie Apps und Software zur Organisation und Erinnerung, therapeutische Massnahmen wie Ergotherapie und Verhaltenstherapie.
Menschen mit ASS reagieren oft atypisch auf sensorische Reize wie Geräusche, Licht oder Berührungen. Diese Über- oder Unterempfindlichkeit kann zu herausforderndem Verhalten führen, wenn die Reize überwältigend sind.
Unterstützend wirken geräuscharme Kopfhörer, Sonnenbrillen oder gewichtete Decken, gedämpftes Licht und weniger Geräusche, Aktivitäten wie Kneten, Schaukeln oder Spielen mit sensorischen Spielzeugen, therapeutische Massnahmen wie Ergotherapie oder Integrationstherapie, offene Kommunikation, positive sensorische Erfahrungen im Alltag (z.B. Bilder anschauen oder Musik hören), regelmässige Pausen zum Ausruhen.
Menschen mit ASS zeigen manchmal Verhaltensweisen, die andere als unangemessen oder störend empfinden. Diese können nach aussen (z. B. Aggressionen) oder nach innen (z. B. Rückzug) gerichtet sein. Solche Verhaltensweisen sind oft nicht absichtlich, sondern durch innere Faktoren wie Gehirnfunktionen verursacht.
Unterstützend wirken das Schaffen eines sicheren Rückzugortes, das Lenken der Aufmerksamkeit auf etwas Positives, Verwendung von Bildern oder Symbolen, um Anweisungen und Erwartungen klar auszudrücken, sowie Lob und Belohnung von Verhalten. Ausserdem schafft der Aufbau einer guten Bindung zu Bezugspersonen Sicherheit und Vertrauen.
Dysregulation bezieht sich auf die Unfähigkeit, emotionale und physiologische Reaktionen angemessen zu steuern. Bei Menschen mit ASS kann Dysregulation in Form von starken emotionalen Ausbrüchen, Schwierigkeiten bei der Anpassung an Veränderungen oder sensorischen Überempfindlichkeiten auftreten. Die Dysregulation steht im Zusammenhang mit der Biografie: «Wurde ich geschützt und geliebt oder bin ich allein in der Krise? Gibt es jemanden, der mir hilft, mich in der Situation zurechtzufinden?»
Unterstützend wirken regelmässiges Bewegen, achtsames Atmen, gesunde Ernährung, genügend und guter Schlaf, Yoga oder Tai Chi und das Reduzieren von emotionalem Stress. Drittpersonen haben immer die Möglichkeit, eine heilende Beziehung aufzubauen.
Im Schulalltag bedeutet dies, dass Lehrpersonen und pädagogische Mitarbeitende auf die individuellen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schüler im Autismus-Spektrum eingehen müssen. Dies kann durch strukturierte Tagesabläufe, sensorische Pausen und emotionale Unterstützung geschehen. Das Verständnis für die genannten Aspekte kann helfen, eine unterstützende und inklusive Lernumgebung zu schaffen.
Judith Ormazabal verglich diese Ansätze mit der zerbrochenen Tasse «Kintsugi», welche die Schönheit in der Unvollkommenheit betont und die Wertschätzung für die Geschichte und die Erfahrungen eines Objekts zeigt. Dieses Bild soll auf die tägliche Arbeit der pädagogischen Mitarbeitenden inspirierend wirken.
«Bleiben wir alle enthusiastisch und verfolgen mit Hartnäckigkeit unser Ziel, den Menschen mit ASS die besten Voraussetzungen für eine maximale Entfaltung ihres Potenzials zu ermöglichen», lautete die abschliessende Botschaft von Ormazabal an alle Anwesenden.
Christine Schricker Zimmermann
Bereichsleitung HPSZ
Telefon 062 767 07 63